In meiner Kindheit konnte man „Imbiß in der Südstadt“ nicht eben als abwechslungsreich bezeichnen. Hie und da wurden Bratwürste und Pommes, die damals noch Bommfritz hießen, gebrutzelt und im Schloß-Grill an der Straßenbahnhaltestelle Heynestraße Schaschlik. Von Lahmacun, Börek und Döner hatte noch niemals ein Mensch etwas gehört, geschweige denn von Kung Pao oder Bami Goreng.
Die südstädtische Eckkneipenlandschaft war dagegen deutlich vielfältiger und reichhaltiger als heute, auf ihre Weise ungefähr so vielfältig wie die heutige Schnellimbißszenerie, obwohl man in den Eckkneipen mit Vorliebe nur Humbser Bier nebst filterlosen Overstolz, Eckstein oder Salem konsumierte. Ebenfalls in meiner Kindheit war der Bunker an der Kreuzung Gugel-/Landgrabenstraße ein bedrohlicher grauer Betonwürfel. Er versucht zwar heute, mittels zwischenzeitlich ergriffener kosmetischer Maßnahmen wie ein Mietshaus ohne Fenster auszusehen, ist aber in den Tiefen seiner Seele der graue Betonwürfel geblieben, der er von Geburt an war. Direkt in seinem Nachmittagsschatten befindet sich Aladins Imbiß, vergleichbar einem Maulwurfshügel neben einem Gebirgsmassiv, oder einer Pflanze, die sich trotzig in den Felsboden krallt, während ihre Artgenossen nahebei, nur ein paar Straßen weiter, in fettem Südstadtboden und bester Lauflage gedeihen.
Mithin handelt es sich bei seiner Existenz eindeutig um ein Wunder, wie es nur der Dschinn aus der Wunderlampe bewirken kann, mögen aufgeklärte Zeitgenossen auch einwenden, daß es Wunder gar nicht gibt, weil sie nicht beliebig zu jeder Zeit an jedem Ort wiederholbar und daher wissenschaftlich nicht nachweisbar sind. Warum aber hat der Dschinn, als Aladin ihn um die Errichtung einer Imbißbude bat, ausgerechnet diese trostlose Ecke ausgesucht, in der nach menschlichem Ermessen weder ein Imbißstand noch sonst irgendetwas gedeihen kann? Weil er vom Anbeginn der Zeit an wußte, daß der Schocken im Jahr 2020 nach Christus in einer gewaltigen Staubwolke untergehen und alles, was ihn unmittelbar umgibt, in seinen Untergang mitreißen würde. Der Bunkerbetonklotz hingegen wird bis zum Ende aller Zeiten existieren. Und mit ihm Aladins Imbiß als weit und breit einzig verbleibende Oase der Hungrigen.

Mittagspause im Schatten des Bunkers, Ecke Landgraben- und Gugelstraße.
Elmar Tannert am Stand von Aladin‘s Imbiss.